Eine Kulturgeschichte des frühen Alpinismus
Martin Scharfe
Die bürgerliche Erfindung des organisierten Bergsteigens seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bedeutet eine wichtige Etappe im Fortschrittsprozess der Moderne. Der Autor spürt den Erfahrungen nach, welche die Menschen jener Zeit im extremen Hochgebirge und in der Begegnung mit einer allgewaltigen Natur machten. So erstehen vor uns Bilder und Szenen, in denen die heftigen Eindrücke der ersten Alpinisten abzulesen sind. Den Körpererfahrungen der frühen Alpinisten gilt ebenso das Interesse wie ihrer Ausrüstung und Alpintechniken. Auf den Gipfeln hinterließen die Bergsteiger Zeichen ihrer Anwesenheit. In einer Phänomenologie und Geschichte der Gipfelzeichen mündet das Buch. Das Gipfelkreuz stellt dabei keineswegs ein Zeichen tiefen Glaubens dar, sondern - so die provokante These - ein Dokument tendenziellen Gottesverlustes.
Das Werk ist eine anspruchsvoll zu lesende Synthese des in Innsbruck als Gastprofessor tätigen Ethnologen, bei dem man aber gewiss nicht den Eindruck gewinnt, hier hat sich einer derjenigen geäußert, die Berge von Büchern über Berge schreiben, ohne je selbst auf Berge gestiegen zu sein. Es ist ein Buch zur Geschichte des Alpinismus, das sich durchwegs von anderen Werken abhebt. Es ist das Verdienst des Autors, die historische Alpinliteratur akribisch studiert und charakteristische Motive, Verhaltensmuster und Denkweisen herausgearbeitet zu haben. Der Leser gewinnt einen umfassenden und fundierten Einblick in die Anfänge des Alpinismus zwischen 1750 und 1850.
Ein durchaus akademisches Buch für Spezialisten, das neue Gedanken und Thesen aufwirft und mit dem Alpinismus in Beziehung setzt: Der die Naturgeschichte verändernde Mensch, die neue Unmittelbarkeit des Vergangenen, die Rekordmanie und der Kult der Erstersteigung, die Alpingeschichte als Teil der allgemeinen Zivilisations-, Fortschritts- und Religionsgeschichte, die Seelen- und Leiberfahrungen, der Interessen- und Erfahrungsaustausch zwischen Berg- und Bürgerkultur oder die kulturellen Gebärden, Szenen und Objektivationen.